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KI & digital Divide im Autoland

[ein Kommentar]

KI-Weltmeister Deutschland?

Laut KI-Strategie-Deutschland.de ist die Künstliche Intelligenz (KI) ein Schlüssel zur Welt von morgen. In der Stellungnahme der Bundesregierung zur Strategie KI heißt es:

Mit der Strategie Künstliche Intelligenz wird die Bundesregierung die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz in Deutschland auf ein weltweit führendes Niveau bringen. Entwicklung und Nutzung von KI sollen dabei verantwortungsvoll und zum Wohle der Gesellschaft gefördert und neue Wertschöpfungspotenziale erschlossen werden. Die Strategie soll hierbei ein gemeinsames Dach und einen Orientierungsrahmen für das Handeln der gesamten Bundesregierung im Bereich KI darstellen. Die Strategie verstehen wir als lebendiges Dokument, das laufend fortentwickelt wird, um flexibel auf neue technologische Entwicklungen reagieren zu können.

Quelle: “Digitalisierung gestalten - Umsetzungsstrategie der Bundesregierung” (PDF ), mehr Informationen gibt es auch unter www.digital-made-in.de

Für mich liest sich das etwa so:

  • Wir wollen weltweit führend sein, wenn es um KI geht
  • Dabei sollen gute Dinge für alle entstehen
  • Die Strategie muss aber tendenziell erst noch geklärt werden

Geheimnisvoll und vielversprechend, diese KI …

KI kann viel, aber was machen wir?

Die Technologie (einiges von dem, was unter dem Begriff KI versammelt wird) halte ich übrigens auch für unglaublich potent. Ich kann zudem nachvollziehen, warum ein Wirtschaftsraum, Staat oder wachstumsorientiertes Unternehmen den Anspruch entwickelt, auf diesem Gebiet die Nase vorn haben zu wollen.

Es ist durchaus ein wenig vergleichbar damit, bei Themen wie Raumfahrt, Atomkraft oder Schießpulver “Erster” sein zu wollen. Denn Vorsprung bedeutet in solchen Fällen, den unfairen Wettbewerbsvorteil auf der eigenen Seite zu haben. Um in solchen Analogien zu bleiben: so wie bei Kernspaltung geht es bei der KI also vor allem um die frühe und evtl. vielseitige Beherrschbarkeit grundlegender Verfahren. Wie bei der Plattform-Ökonomie bedeutet Erster-Sein hier alles. KI ist deshalb auch vor allem eine Frage der Technologie und erst dann eine Frage des Anwendungsfalls.

Machen wäre vermutlich besser als viel Reden

Es wird aber inzwischen zu lange ganz einfach zu viel über KI geschrieben. Oft auch zu oberflächlich. Auf allen Kanälen. So, dass es inzwischen nervt und kontraproduktiv wird. So wie bei Big Data, Cloud und einer Hand voll anderer Themen.

Die Kommunikation wird schlichtweg überstrapaziert und verdrängt zu oft Wesentliches oder Realistisches.

Denn die traurige Wirklichkeit ist ja, dass viele Unternehmen und Einrichtungen bis heute nicht einmal die grundlegenden Probleme des letzten Jahrhunderts mit den Mitteln dieser (der digitalen) Zeit kompetent lösen.

Auf der einen Seite wird euphorisch KI, Big Data und Co gehuldigt, auf der anderen arbeitet man noch im Papierzeitalter. Ganz ehrlich - in vielen Betrieben können sich Kunden online doch nicht mal einen Termin besorgen; das geht oft immer noch per Telefon oder Post. Vorausgesetzt, man hat als potentieller Interessent via Suchmaschine herausbekommen, dass es diesen Betrieb überhaupt gibt.

Corona hat gerade noch eindrucksvoll bewiesen, welche realen Probleme wir hier (auch neben dem KI-Rückstand im China-Benchmark) haben. Simpelste Abläufe sind disconnected und funktionieren nicht mehr, wenn etwas Unerwartetes wie der Lockdown geschieht. Koordination von Arbeit, Kommunikation, Dinge wie Zeiterfassung oder Online-Bestellungen abwickeln, solche Dinge waren noch absolut nicht an das Jahrhundert angepasst. Ebenso waren Schulen überfordert, wenn es um das Einsetzen digitaler Infrastrukturen ging.

Ich für meinen Teil war jedenfalls nachhaltig verwirrt, als ich über Wochen hinweg (zu Beginn der Pandemie) die völlig euphorischen Erfahrungsberichte über diese neue “Telearbeit” per Videomeeting mitbekommen habe. Mir kam es so vor, als wäre für 2/3 der deutschen Bevölkerung Skype erst im Frühling 2020 erfunden worden! Wahnsinn, das hätte ich so großflächig nicht für möglich gehalten. Man konnte förmlich spüren, wie weit diese digitale Schere doch in Wirklichkeit auseinanderklafft (der Digtial Divide).

Man stelle sich jetzt nur noch vor, wir wären plötzlich tatsächlich “Erster in KI”. Die Bildzeitung würde schreiben “Wir sind KI-Papst”, aber 90% der Menschen kämen schlussendlich überhaupt nicht mehr klar. Viele würden vielleicht wutbürgerlich auf die Straße gehen und brüllen:

Erst Maske, dann Videomeeting, jetzt auch noch Intelligenz - irgendwann is aber auch Schluss!” …

Ich bin der Meinung, dass die Überthematisierung der magischen und besonderen Themen wie “Künstlicher Intelligenz” nur dazu führt, dass bspw. Mittelständler vor dieser (vermeintlich kaum) zu bewältigenden Mission des Mithaltens bereits im Vorfeld kapitulieren und das Problem einfach der nächsten Generation überlassen. Viele sagen eventuell trotzig: “Ist mir Wumpe, jeden Quatsch muss ich nicht mehr mitmachen.”. Und damit werden vielleicht auch viele Optionen über Bord geworfen, die eigentlich wichtig wären.

Ein anderer Punkt, den ich an diesem überzogenen Buzzword-Bingo problematisch finde ist, dass eine Technik leidenschaftlicher diskutiert wird, als die real existierenden und dringend zu lösenden Probleme oder Problemursachen. Und dies kann zu mehr Verdruss führen, vielleicht sogar unterm Strich zu Rückschritt - totz aller Magie des Themas, trotz allem technologischen Potential.

Und vielleicht gerade dann, wenn flächendeckend (Digital-) Kompetenz fehlt, wie mitunter McKinsey, die KfW Research oder der Digitalrat nahelegen. Denn ohne Kompetenz in der digitalen Welt keine Teilhabe an der digitalen Wertschöpfung.

Und in diesem Zusammenhang bezweifle ich, dass mehr Menschen in Deutschland digital kompetenter werden, indem man sich übertrieben euphorisch am Thema KI abarbeitet. Die Überbetonung von ein paar wenigen Technologien verdrängt so manche Tiefendiskussion und sperrt viele aus. Wir sollten also allmählich mal zurück in einen erstzunehmenden Arbeitsmodus, solides Engineering und Kompetenz sowie Problemanalyse übergehen.

Vielleicht besser Problemlösungsweltmeister

Neben dem Ausbau grundlegender Infrastrukturen (Glasfaser etc.), werden also direkt häufig kernige Schlagworte in die Kanäle und Strategiepapiere geschmissen, wie Künstliche Intelligenz, Blockchain, Big Data und Co.

Den Technologien ihren Stellenwert einzuräumen ist zunächst auch absolut fair und sogar sinnvoll, wenn es nicht nur bei dem Overpromising bleibt. Doch viel wichtiger ist es, mit neuen Technologien die richtigen Herausforderungen zu lösen bzw. relevante Probleme in tragfähige Lösungen zu überführen.

Für viele KMU im Lande sind z.B. die grundlegenden Schritte eben längst nicht getan worden. KMU bedeutet hierzulande immerhin ~ 99,5% aller Unternehmen. Ein großer Teil der Betriebe kämpft immer noch mit der operativen Bewältigung des Alltags - mit den Grundlagen strukturierter Datenerfassung, Umsatzsteuerumstellung, dem Schreiben von Rechnungen, Umbuchungen, der Rekrutierung und Schulung neuer Mitarbeiter, Wissensmanagement, dem Online-Verkauf oder vielerorts vielleicht auch nur mit dem Beantworten von E-Mails oder dem Einhalten der DSGVO etc. Wir müssen also erst einmal dringend in der Jetzt-Zeit ankommen, um uns dann mit guten Ansätzen für die Zukunft aufzustellen.

Das Naheliegende sollte somit trotz des Verheißungsvollen nicht einfach unter den Tisch fallen. Was will schon ein kleiner Handwerksbetrieb mit Augmented Reality anfangen, solange die Stundenzettel abends von Hand ausgefüllt werden? Wieso sollte sich der Besitzer eines Friseursalons für KI interessieren? Was macht der Metzger in der der Cloud? Und wie viele Musiker benötigen aktuell eine Blockchain-Lösung? Um kreativ in die Zukunft zu denken, müssen wir aus dem Stillstands-Monopol der letzten 1,5 Dekaden herauskommen.

Relevante Lösungen sind solche, die für einen Großteil der Menschen und Betriebe im Alltag gegenwärtig, messbar und nachhaltig Probleme lösen können. Oder klar - vielleicht neue Optionen eröffnen. Lösungen könnten dabei natürlich auf Machine Learning, “KI” oder IoT-Infrastrukturen und allem Möglichen basieren, insofern so ein relevantes Problem besonders gut in der Realität lösbar wird. Aber die Probleme und Effekte, welche diese Lösungen adressieren, müssen im Vordergrund stehen! Nicht die Technik für die Lösung von magischen Problemstellungen.

Hinzu kommt auch, dass die besten Lösungswege nicht immer die sein müssen, die besonders magisch sind. Technologie, die der Benutzer versteht, die kontrollierbar und wartbar ist, die eventuell weniger komplex und ressourcenschonender im Betrieb ist, die ist für den Benutzer nicht wirklich schlechter. Im Gegenteil. In vielen Fällen halte ich es sogar für ignorant, wenn der KI Dialog die vielen anderen Lösungsoptionen kommunikativ verdrängt. KI ist nur Technologie, ob man sie versteht oder nicht. Sie ist absolut mächtig und wird die Zukunft mitbestimmen. Dennoch löst ein KI-basierter Ansatz nicht jedes Problem besser oder eleganter. Und man sollte nicht jeden Anwendungsfall immer mit dem gleichen Tool oder Lösungsstrategie beantworten, denn das macht dumm. Ein [GAN (Generative Adversarial Network)] (https://de.wikipedia.org/wiki/Generative_Adversarial_Networks) würde man bspw. auch nicht einsetzen, um irgendwelche Verwaltungsprobleme zu lösen, sondern eben nur eine bestimmte Klasse von Problemen.

Deshalb darf die Versteifung auf Technologien bzw. ein enger Fokus des “Technologie-Wettlaufs” nicht in Ignoranz münden, die blind für weitere “Schlüssel für die Zukunft” macht.

Die Zukunft hat viele Türen. Um adaptiv die Zukunft zu beschreiten sollten wir exzellent darin sein, relevante, häufig auftretende oder globale Probleme möglichst schnell zu identifizieren, sie objektiv zu analysieren, um dann kreative und brilliante Lösungsoptionen mit Potential zu erdichten, zu konstruieren, zu verifizieren.

Die Verengung des Blicks (auf Themen wie KI und dergleichen) ist ebenso ermüdend wie unkreativ. Wir redeten ja während der letzten 100 Jahren auch nicht pausenlos nur über Stahl, selbst wenn zahlreiche Probleme mit Stahl technisch gelöst konnten.

Es ist ja so: Probleme haben wir zum Glück im Überfluss - ob in der Bildung, in der Verwaltung, in der Landwirtschaft, in der Zukunft von Demokratie, im Finanzsystem, in den kleinen und großen Belangen unserer Gesellschaft. Nur wenn Probleme existieren, werden Lösungen dringend benötigt.

Und das bedeutet: wir haben ein schier unerschöpfliches Problemfeld abzuarbeiten - das Potential ist unendlich! Also frisch ans Werk!

Wir können uns also glücklich ob der Vielzahl unserer Probleme schätzen und sollten möglichst viele davon unvoreingenommen identifizieren, um viele kreative Lösungen zu ersinnen. Mit oder ohne KI. Wenn Deutschland bzw. Europa innovativ vorankommen soll, dann geht es vor allem um die Identifikation relevanter Herausforderungen und darum, viele gute (und gut ausgebildete) Leute motiviert, ergebnisoffen und kollaborativ an das Lösen von Problemen zu lassen. Nicht weil da ein Potential für KI wäre, sondern weil es mit oder ohne KI Sinn macht! So ensteht bedeutsame Innovation.

Klimawandel ist z.B. eines der relevanten Probleme, bei dem wir nicht nur auf KI setzen können.

Ein Hinweis zum besseren Verständnis: Ich bin fest von dem Potential von KI überzeugt und schon viele Jahre am Thema interessiert. Ich glaube aber, dass wir hierzulande inzwischen sehr oberflächlich über Technologie reden und in der Breite zu wenig an grundsätzlichen Defiziten arbeiten. Es gibt viele kluge Köpfe und Experten am Standort, aber viele Dinge könnten durchaus schneller in Bewegung gebracht werden, um Deutschland innovationsfreundlicher und international kompetetiver zu machen. Die Faszination an KI täuscht oft über Grundlegenderes hinweg. Somit plädiere ich dafür, den Dialig nicht zu platt und verkürzt zu führen, sondern ergebnisoffen und selbstkritisch.

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